„Abschied vom mündigen Verbraucher – Trauerfall oder Aufbruch zu Neuem?“

Angelika Löber (rechts) diskutierte beim Parlamentarischen Abend der Verbraucherzentrale mit Interessenvertretern, Wissenschaftlern.und anderen Politikern. Foto: Banczerowski

Wiesbaden. Die Verbraucherzentrale Hessen hatte am letzten Dienstag im April zum parlamentarischen Abend nach Wiesbaden eingeladen. Als verbraucherpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im hessischen Landtag, hatte auch Angelika Löber an der Veranstaltung teilgenommen. Hauptredner war Professor Dr. Christoph Strünck von der Universität Siegen, der in seinem Impulsvortrag das abendliche Motto „Abschied vom mündigen Verbraucher – Trauerfall oder Aufbruch zu Neuem?“ aufgriff und analysierte. Zuvor hatte Verbraucherministerin Priska Hinz (Grüne) in ihrer Rede die Bedeutung der Verbraucherzentrale in Hessen betont – und außerdem die erhöhte finanzielle Unterstützung der Einrichtung durch das Land hervorgehoben. Mit weiteren 500.000 Euro – also nunmehr insgesamt 2,2 Millionen Euro – fördert das Land die gesamte Verbraucherberatung in Hessen. „Wir wollten und wollen hier ganz bewusst politische Prioritäten setzen: für einen flexiblen, modernen und zuverlässigen Verbraucherschutz“, sagte Hinz. Grundlage dafür ist ein verändertes politisches Bewusstsein: Letztlich stehe der Staat in der Pflicht, auf den Märkten einen rechtlichen und ordnungspolitischen Rahmen zu setzen, bekräftigte die Staatsministerin. Und: „Er muss auch die Verbraucherberatung auskömmlich fördern. Denn Verbraucherschutz ist ein Bürgerrecht!“ Ein neues Konzept sehe außerdem den Wiederaufbau eine Rechtsabteilung innerhalb der Verbraucherzentralen zur Stärkung des kollektiven Verbraucherschutzes und zur Sicherung der Beratungsqualität vor. Der Fokus wird künftig verstärkt auf der Verbraucherbildung liegen, versicherte Hinz.

Im Vorfeld des Impulsvortrages widmete sich zunächst Jutta Gelbrich, Vorstandsmitglied der Verbraucherzentrale Hessen, dem Tagesthema. Sie sprach über das vermeintliche Idealbild des sogenannten mündigen Verbrauchers. „Dieses Leitbild erwartet, dass sich jeder Verbraucher rational verhält und ökonomisch vorteilhaft handelt – das hat mit der Realität aber wenig zu tun.“ Jedoch werde genau dieses Verbraucherbild immer dann gern bemüht, wenn es darum gehe, mehr Verbraucherschutz zu verhindern, erklärte Gelbrich. Sie warb daher für ein differenzierteres Bild, das zwischen dem verletzlichen, dem vertrauenden und dem verantwortlichen oder kritischen Verbraucher unterscheide. Diese Ansicht teilte auch Professor Dr. Christoph Strünck in seinem Vortrag, in dem er ebenfalls dem Idealbild des sogenannten „Homo Oeconomicus“ eine Wirklichkeitsferne bescheinigte. Das Leitbild werde von allen Parteien und Interessengruppen instrumentalisiert, es vernebele mehr als es erhelle und verwechsele Vision mit Wirklichkeit, konstatierte der Professor in seiner Präsentation. „Verbrauchertypen und Entscheidungssituationen sind unterschiedlich“, bekräftigt Strünck und verwies beispielsweise auf den verletzlichen Verbraucher, dessen Handlungsspielräume etwa aufgrund einer Verschuldungssituation tatsächlich sowie rechtlich begrenzt seien. Die Wissenschaft breche derweil zu Neuem auf, indem sie die Wirklichkeit ernster nehme. Denn: „Den Durchschnittsverbraucher gibt es nicht“, sagte Strünck.

Damit die individuellen Verbraucher besser geschützt und verlässlicher informiert würden, brauche es starke Interessenvertreter auf Seiten der Verbraucherschützer, betonte Jutta Gelbrich. Sie erinnerte zugleich an die Tradition der Beratung: „Die Verbraucherzentralen stellen sich diesen Herausforderungen seit über 50 Jahren!“ Mit individueller Beratung werden alle Verbrauchergruppen hinsichtlich ihrer Konsumentscheidungen unterstützt, Ratsuchende erhalten Hilfe und Tipps. Wesentlicher Teil der Aufgaben ist außerdem die Verbraucherbildung. „Wir wollen Verbraucher bereits ab dem Kindergarten und der Schule fit machen und zu kritischen Konsumenten erziehen“, erklärte Gelbrich. Generell erfülle die Verbraucherzentrale eine Sensorfunktion; sie erkenne oft zuerst Fehlentwicklung im Markt und fordere ständig Verbesserungen des rechtlichen und behördlichen Verbraucherschutzes.
Einerseits könne durch die Stärkung der finanziellen Basis durch die Landesregierung ab diesem Jahr die Arbeit in allen Feldern verstärkt werden. Auf der anderen Seite formulierte Jutta Gelbrich auch eine Forderung gegenüber den politischen Akteuren in Bund und Land: „Ein wissenschaftlich fundiertes und politisch anerkanntes und dennoch realitätsnahes Verbraucherbild, würde unsere verbraucherpolitische Arbeit stärken, da der Vorwurf der Entmündigung der Verbraucher und Gängelung der Anbieter entfiele!“ Im Anschluss an die Redebeiträge diskutierten die Gäste an Thementischen verschiedene Aspekte des Verbraucherschutzes. Mittendrin: Verbraucherpolitikerin Angelika Löber, die nochmal im Rahmen der Plenarsitzung am nächsten Tag unterstrich: "Die Beratung durch starke Verbraucherverbände ist wichtig. Die stärkere finanzielle Förderung der Verbraucherberatung war überfällig!"

Gastredner: Dr. Christoph Strünck ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Siegen, Beiratsvorsitzender der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e. V. und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats für Ernährungs- und Verbraucherpolitik beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV). Quelle: Verbraucherzentrale Hessen

Programm des Parlamentarischen Abends
Begrüßung durch Ursula Hammann, Landtags-Vizepräsidentin Grußwort von Priska Hinz, Staatsministerin (u.a) Verbraucherschutz
Impulsvortrag: Verbraucherzentrale Hessen stellt sich neuen Herausforderungen – von Jutta Gelbrich, Vorstand Verbraucherzentrale Hessen e.V.
Impulsvortrag: Abschied vom mündigen Verbraucher – Aufbruch zu Neuem! – von Prof. Dr. Christoph Strünck, Universität Siegen
Künstlerischer Rahmen: Stefani Kunkel
Thementische:
•Abschied vom mündigen Verbraucher – Aufbruch zu Neuem!
•Lebensmittel-Lügen: Die Wahrheit auf den Tisch
•Schöne digitale Welt – Smartphone, Tablet & Co: Gefahren und Risiken
•Energiepreise im Visier: Energiesparen, Versorgungssperren, Tücken des Anbieter- und Tarifwechsels
•Was macht der Finanzmarktwächter Grauer Kapitalmarkt?
•Schule macht fit fürs Leben: Verbraucherbildung (k)ein Thema?
Quelle: Verbraucherzentrale Hessen